Es ist interessant und es ist viel zu viel und es dauert lange. Wir sitzen bis in die Haarspitzen angespannt auf einem unbequemen Stuhl und atmen seit vier Stunden (mit kurzen Pausen) in einen Mund-Nasen-Schutz. Uns gegenüber hockt der Täter im Untersuchungsgefängnispulli und weicht unserem Blick aus. Daneben steht sein Pflichtverteidiger und spricht das Schlussplädoyer:
Drogensucht, Epilepsie, Scheidung und Geständnis sollen Argumente für ein mildes Urteil darstellen. Wir schütteln leicht den Kopf und versuchen, genervte Augen zu formen. Mehr sieht man ja leider nicht von unserem Gesicht.
Der Verteidiger holt zum letzten Satz aus: „Ebenfalls zugute halten sollte man ihm, dass er ja nie ein Sexualdelikt begangen hat oder Gewalt gegen die Geschädigten ausgeübt hat.“
Mir bleibt vor Wut kurz die Luft weg. Sollen wir ihm dankbar sein, dass er uns oder/und unsere Lebensgefährtin bei seinem Einbruch nicht vergewaltigt oder verprügelt hat? Ist er ein total harmloser, quasi unschuldiger Typ? Ich denke kurz an die Prostituierten, die er als Freier ausgebeutet und danach ausgeraubt hatte- dann kehren wir zurück in eine emotionslose Konzentration.
Der Richter und die Schöffen ziehen sich zur Urteilsbesprechung zurück und wir suchen mit unserer Lebensgefährtin eine kleine, unbeobachtete Ecke im Wartebereich, an dem wir unsere Mund-Nasen-Masken lüften können.
Kurze Zeit später tritt der Bruder des Angeklagten auf uns zu und sagt, es täte ihm leid, was sein Bruder gemacht habe, aber er sei halt „psychisch gestört“. Er habe eine „traumatische Epilepsie“ mit „Erinnerungslücken“. Wir runzeln die Stirn und erwarten fast, dass ein verrückter Clown um die Ecke tanzt und „Versteckte Kamera!“ ruft. „Aha,“ sagen wir nur und gehen schließlich zurück in den Sitzungssaal.
Ein Jahr und 6 Monate, ohne Bewährung. Wiederholungstäter, vorbestraft, Schutzbehauptungen statt echter Reue oder Entschuldigung, Opferhaltung statt Verantwortungsbewusstsein.
Wir fahren vollkommen erschöpft nach Hause.
Erleichtert sind wir, weil es sich für uns richtig (= ge-recht) anfühlt.
Besorgt sind wir, weil es Verteidiger gibt, die sich nicht zu schade für die allerbilligsten Argumente sind.
Und weil wir uns vorstellen, in welcher Form, mit welcher Haltung und welcher Entwicklung dieser Täter wohl im Juli 2022 aus dem Gefängnis entlassen werden könnte.